Buchpublikation

DIE SIEDLUNG IN DER STADT
Umformulierung eines ungeliebten Raummodels


Buchpublikation
Der Siedlungsbau der Nachkriegsmoderne hat keinen guten Ruf, folgen die Zeilenbauten in ihrer monostrukturellen Anlage doch der funk­tionalistischen Idee einer aufgelockerten Stadt und nicht dem heute geltenden urbanen Leit­bild von Dichte, Durchmischung und Vielfalt. Auch hinsichtlich ihrer Bausubstanz sind diese Siedlungen in die Jahre gekommen. Aus ihrer negativen Wahrnehmung heraus werden sie vielerorts entweder überformt oder, im Falle einer Sanierung, zumeist nur nach energeti­schen Aspekten verändert. Doch beide Lösun­gen werden den Nachkriegssiedlungen in kei­ner Weise gerecht.

Diese Publikation stellt die Frage nach dem Wohnen in Siedlungen der Nachkriegszeit neu und will damit deren urbane Potenziale ins Blickfeld rücken. Anhand detaillierter Analysen ausgewählter Siedlungen werden integrierte Entwicklungsmöglichkeiten und Umbaustra­tegien definiert. Diese gehen über die übliche Praxis einer architektonischen Sanierung hin­aus, denn sie begreifen die Siedlungen als ur­banes Element von Stadt und tragen dadurch auch zu einem erweiterten Verständnis von städtischem Raum bei.

Die Publikation basiert auf dem kooperatieven Forschungsprojekt "Wie Wohnen - Studie zur strategischen Bestandsentwicklung im Wohnungsbau" (2013-2015).

 

Die Siedlung in der Stadt
Umformulierung eines ungeliebten Raummodels
Volker Kleinekort / Astrid Schmeing
JOVIS Verlag, Berlin 2016
ISBN 9 78­3­ 868 59­3 95­2

Gestaltung und Satz: studioheyhey, Frankfurt am Main

 

 

Strategien gegen die Unsichtbarkeit von Siedlungen der Nachkriegsmoderne - Randnotizen zu einer Forschungsarbeit von Volker Kleinekort und Astrid Schmeing

Von Prof. Dr. Frank R. Werner

Wer kennt sie nicht, die vielen städtischen Siedlungen der Nachkriegszeit, deren zeilenartige Baublöcke meist wie verloren in sterilen Grünräumen herumstehen. Anfänglich waren sie ziemlich beliebt, weil man hier relativ zentrumsnah preisgünstig in aufgelockerten Siedlungsstrukturen leben konnte; frei nach Le Corbusiers Vision einer  „Cité radieuse“. Richtig urban waren diese Siedlungen freilich nie. Weshalb sie auch nie als konstituierende Teile der Stadt wahr- und in Gebrauch genommen wurden. Stattdessen verkörperten sie gleichsam „unsichtbare“ antiurbane Gebilde innerhalb unserer Städte. Mittlerweile in die Jahre gekommen, bestand erheblicher Sanierungsbedarf. Meist wurden die Siedlungen deshalb modernisiert, sprich energetisch ertüchtigt, stadtgestalterisch „aufgehübscht“ oder gar zeitgeistig überformt. Nur eines wurden sie dabei nicht: urbaner.

Genau dieser negative Aspekt war Ausgangspunkt einer wichtigen Studie, die Volker Kleinekort und Astrid Schmeing kürzlich vorgelegt haben. Ihr Titel  „Die Stadt-Siedlung in der Stadt - Umformulierung eines ungeliebten Raummodells“ verrät Programmatisches und ist das Resultat eines staatlich geförderten Forschungsprojektes.  Kleinekort und Schmeing geben sich in Anbetracht zunehmend verknappter preisgünstiger Wohnräume und antiurbaner Kapitalisierungen ganzer Stadtareale nämlich nicht zufrieden mit dem Status quo solcher Siedlungen. Stattdessen betrachten sie letztere als willkommene Ressource und potenzielle Reservoire für eine grundlegenden Re-urbanisierung dieser „Lost Territories“. Um deren „Relaunch“ in Gang zu setzen, bedarf es nach Ansicht der Verfasser zunächst einmal neuartiger Analyseverfahren, um die urbanen Potenziale der einzelnen Siedlungen innovativ herauspräparieren zu können. Anhand einer analytischen Betrachtung von fünfzehn ausgewählten Siedlungen in Herten, Frankfurt, Darmstadt und Karlsruhe entwerfen sie fallweise „strategische Bestandsentwicklungen“, deren Präzisionsgrad weit über den konventioneller Entwicklungsmodelle für solche Siedlungen hinausgeht. Sukzessive leiten sie daraus Instrumente und Mittel ab, deren Anwendung sie am Beispiel von vier ausgewählten Siedlungen in drei Städten (Herten, Frankfurt, Darmstadt) exemplarisch vorstellen und überprüfen. Zu guter Letzt konkretisieren Kleinekort und Schmeing die Essenz ihrer Re-Urbanisierungsstrategien sogar in einer gleichermaßen präzisen wie überzeugenden Entwurfsidee für die Frankfurter Märchensiedlung.

Anstelle eines Fazits stellen die Verfasser mithin einen Entwurf vor, der nach ihren Worten „eine spezifische Form von Wissen produziert, das sich von einem Text oder einem gesprochenen Wort grundlegend unterscheidet und durch diese nicht ersetzt werden kann. Es ist ein Wissen, welches die künftigen Eigenschaften des transformierten Raumes in einem hohen Ausmaß vorwegnimmt.“

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich also weder um ein stadtplanerisches Coffee-table-book noch um eine Ansammlung städtebaulicher Sonntagsreden. Stattdessen brilliert diese durchgängig überzeugende Forschungsarbeit auch optisch als ein lebendiges Storyboard mit inhaltlich äußerst präzise positionierten Texten, Piktogrammen, Schwarzplänen, Isometrien, Fotomontagen oder Diagrammen. Nolens volens verkörpert diese Studie damit eine Art von „Toolbox“ für innovative urbane Strategien zur Rückgewinnung von Urbanität, und das sowohl in intellektueller als auch haptischer Hinsicht. Man kann den Autoren daher nur zustimmen, wenn sie feststellen: „Zusammengefasst ergibt sich aus den Aspekten und Argumenten ein  deutlich anderer Blick auf die Siedlung der Nachkriegsmoderne. Anstatt als reines ‚Gegenmodell’ zu Stadt erscheint diese als Alternativangebot, das Wahlfreiheit gebietet. Die Aspekte, die zur Stärkung dieser Wahlfreiheit beitragen, will die vorliegende Publikation herausarbeiten.“ Weshalb dieser fundierte Forschungsansatz  künftig eigentlich in keinem einschlägigen Bücherbord fehlen sollte. Schließlich hat Kleinekorts und Schmeings Buch durchaus das Zeug zu einem Standardwerk.